Valtellina: The secret of alpine Nebbiolo - PINwand
Valtellina: The secret of alpine Nebbiolo
PINwand n.358, Pinard de Picard Magazine, November 2023
Was hat die Welt des Nebbiolo neben dem Piemont noch zu bieten? Diese Frage stellen sich gewiss viele Weinliebhaber. Nicht nur ob der steigenden Preise im letzten Jahrzehnt, alle traditionellen und weltberühmten Weinbauregionen der alten Welt verzeichnen extreme Aufmerksamkeit, wir sehen dies aktuell im Burgund, der Champagne aber auch kleinen Regionen wie dem Jura. In Italien sind alle Augen aufs Piemont gerichtet, der vielleicht burgundischsten Region Norditaliens. Doch nicht nur Weinliebhaber lechzen nach jenen filigranen und terroirgeprägten Rotweinen. Auch Winzer blicken ob der klimatischen Veränderungen nach höher gelegenen Lagen und Subregionen. Das Alto Piemonte steht bei vielen hoch im Kurs, unsere Azienda Agricola Antoniolo erfreut sich im Gattinara höchster Beliebtheit, andere Betriebe aus dem Piemont wie Giacomo Conterno engagierten sich hier ebenfalls. Und schon 1999 entdeckte Paolo de Marchi (Isole e Olena) im Alto Piemonte den alten Familiensitz wieder für sich. Antonio Galloni berichtete jüngst über diesen Trend, der exponentiell zu steigen scheint: „Es steht außer Frage, dass der Nebbiolo eine der größten und edelsten roten Rebsorten der Welt ist. Die Fähigkeit, die Essenz der Lage und des Jahrgangs durch die Linse des Erzeugerstils zu vermitteln, macht den Nebbiolo zu einer einzigartigen Rebsorte.
Wenn Konsumenten den Zauber des Nebbiolo einmal erlebt haben - meist durch die Weine der Langhe -, ist es nur natürlich zu fragen: Was gibt es denn sonst noch? Die Antwort lautet: Alto Piemonte und Valtellina, zwei eigenständige und unterschiedliche Regionen, die beide viel zu bieten haben. Seit meinem letzten Beitrag vor zwei Jahren habe ich mehr Weine aus dem Alto Piemonte und dem Valtellina verkostet denn je zuvor, viele davon von neuen Betrieben. Das Tempo des Wandels ist rasant und oft auch aufregend. Das Beste daran ist, dass diese handwerklich hergestellten Weine nur einer Handvoll Kenner bekannt sind und in der heutigen Welt einen enormen Wert haben.“
Valtellina: Il paradiso puro del Nebbiolo!
„Ein Tal, umgeben von hohen und furchterregenden Bergen“, so beschrieb Leonardo da Vinci die Region Valtellina in seinem Codex Atlanticus. Das Valtellina ist eine der attraktivsten Regionen für Nebbiolo. Wir befinden uns hier weiter nördlich als im Piemont, genauer gesagt in der Lombardei. Das Valtellina, eine Region von lediglich rund 1.000 Hektar Rebfläche (einst war die Region immerhin 6.000 Hektar groß!), grenzt bereits an die Schweiz und Südtirol an, die zudem Hauptabnehmer der finessereichen Rotweine sind. Das alpine Ski-Gebiet St. Moritz befindet sich hier lediglich 80 Kilometer nördlich. Damit zeichnet sich auch schon das Landschaftsbild des Valtellina ab. Die Weinortschaften sind von terrassierten Steillagen geprägt, erinnern an einen Hybrid aus dem Tessin und Hermitage. Diese raue Landschaft erweist sich als klimatisches Paradies: Die Adda fließt hier von den Rätischen Alpen über den Comer See bis zur Mündung in den Po. Das Tal wird im Süden wie im Norden von Gebirgszügen eingefasst, ist von kalten Nordwinden abgeschottet und wird vor Pilzkrankheiten, die bei feuchtwarmen Luftströmungen entstehen weitestgehend bewahrt. Der Comer See fungiert hier als Temperaturregulator. Wer Weinbau betreibt, ist sich einer gewissen Selbstkasteiung wohlbewusst, nicht umsonst spricht man im Valtellina von der viticultura eroica, dem „heroischen Weinbau“: Zwischen 300 und 700 Metern Höhe wird dieser in aller Regel betrieben, die Parzellen zeigen sich verwinkelt und liegen in der Gele weit verstreut. Handarbeit ist hier eine Notwendigkeit, die am Ende jedoch mit einem wahrhaft paradiesischen Wein belohnt wird. Dantes Göttliche Komödie und die zu durchlaufenden Höllenkreise kommen einem hier auch 700 Jahre nach dem Tod des Dichters unweigerlich in den Sinn – und tauchen auch tatsächlich auf. Das Valtellina besitzt eine Qualitätspyramide: Die Basis bildet der sogenannte Rosso di Valtellina DOC, der zu mindestens 90 % aus Nebbiolo bestehen muss. Darüber erschließen sich die Valtellina Superiore DOCG. Lediglich fünf Unterzonen (sottozone), kleinste Gebiete von 15 bis 140 Hektar Größe, dürfen sich auf dem Etikett hervorheben: Grumello, Maroggia, Sassella, Valgella und das sogenannte Inferno, eine der eindrucksvollsten Subregionen des Valtellinas, dessen kräftigere Rotweine besondere Aufmerksamkeit verdienen.
ArPePe: Historisches Akronym und Zugpferd der Region
Ein Betrieb ragt unserer Meinung nach besonders her - vor, und wir verdanken diese vorzügliche Empfehlung niemand geringerem als Roberto Santana, einem der vier Musketiere unseres spanischen Champions-League-Te - ams Envínate. Es handelt sich um die in Sondrio gelegene Società Agricola AR.PE.PE. Hinter diesem Akronym ver - birgt sich Arturo Pelizzatti Perego, der „Wiederaufbauer“ des Weinguts, wie er von den heutigen Kindern genannt wird. Denn drei Meilensteine prägen die Gutsgeschichte: 1860, 1984 und 2004. Das schlicht „Pelizzatti“ genannte Weingut lässt sich bis 1860 zurückdatieren, wurde dann in den 1970er-Jahren zum Leidwesen Arturo Pelizatti Peregos verkauft, dessen Vater den Betrieb aufgrund seiner voranschreiten - den Krebskrankheit veräußerte. Erst ein Jahrzehnt später erwarb Arturo den Betrieb zurück, verpflichtete sich, die Einzigartigkeit der Nebbiolo-Traube im Valtellina herauszuarbeiten. Als einziges der vier Kinder verschrieb er sich dem Weinbau. Nur durch Verpachtung gelang es ihm den Betrieb vor dem kompletten Ausverkauf zu bewahren. Dadurch konnte er aller - dings die Kernlagen des väterlichen Betriebs wiedererwerben. Wir verdanken nun der fünften Generation, Arturos Kindern, die Fortschreibung einer einzigartigen Geschichte, die erneut in eine Tragödie hätte münden können, als Arturo seinem Krebsleiden im Jahre 2004 erlag. Doch standen hier inzwischen die Geschwister Isabella, Emanuele und Guido bereit, fest - entschlossen, das Vermächtnis ihrer Vorfahren zu bewahren und das Weingut in eine ebenso geschichtsträchtige Zukunft zu führen.
Was die Geschwister seitdem investiert haben, ist atemberaubend: Die schwierig zu bewirt - schaftenden Terrassenlagen wurden mit Schleppzügen ausgestattet, wie man sie schon vor Generationen kannte, um so das Traubenmaterial ins Tal zu transportieren. In der tief in die Hügel gegrabenen Kellerei werden mit großer Geduld und noch größerem Verständnis Weine vinifiziert, die in ihrer Stilistik unverkennbar ausfallen und unter idealen Bedingungen quasi unbeeindruckt von äußeren Ereignissen heranreifen. „ARPEPE ist einer der traditionellsten Erzeuger des Valtellina. Die Gärung und Mazeration seiner Einzellagenweine findet in gro - ßen Holzbottichen statt und kann je nach Jahrgang bis zu 69 Tage dauern. Danach folgt eine lange Reifung in den Kellern, zunächst in großen Fässern, meist aus Kastanienholz für die Cru-Abfüllungen, dann in Zement und schließlich in der Flasche, bevor er auf den Markt kommt.“ berichtet der Wine Enthusiast. Im Zentrum steht ausschließlich die Herausarbei - tung der Nebbiolo-Traube, die hier auch Chiavennasca genannt wird. Sassella, Grumello und Inferno sind die Ortschaften, welche die Geschwister bearbeiten. Der Schieferanteil fällt in Grumello besonders hoch aus. Aber auch Kalkstein dominiert hier den Boden. In Sassella sorgen die eisenhaltigen roten Böden mit hohem Lehmanteil für völlig andere Facetten. Das Potenzial ist enorm. So schreibt der Sommelier und Italienkenner Rogger Bissel: „Die besten Weine des Valtellina können sich mit den etablierten Spitzenweinen messen. Meiner Mei - nung nach ist das Valtellina eine Region mit enormem Potenzial, vor allem da die Welt ihre Liebe zum Nebbiolo weiter ausbaut.“ Es ist die Feinheit und Intensität, des Nebbiolo, die hier besonders betont wird. Ein Nebbiolo aus Valtellina, speziell von ArPePe, fällt völlig anders aus als klassischer Barolo. Die enormen Höhenlagen und das raue Klima erzeugen rubinrot schimmernde Weine, deren Früchte säuerlich und rotfruchtig ausfallen. Nicht selten gesellen sich Kräuter- Minze – und Teenoten hinzu, wohingegen die Tanninstruktur seidig und zart ausfällt. Die Fruchtintensität, die die Weine hier ausstrahlen ist bemerkenswert. Um der eher divenhaften Traube gerade diese Facette zu entlocken, bedarf es eines gehörigen Quantums Geduld. Die Geschwister lernten diese Bedingung bereits von ihrem Vater, der diesbezüglich als absoluter Fanatiker galt und all seinen Weinen viele Jahre Reifezeit spendierte, bevor sie in den Verkauf gingen. Diesem Credo folgt man auch heute noch, zelebriert es förmlich, was Besonderheit und Ausnahmestellung sämtlicher Weine von ArPePe garantiert.
„Il giusto tempo del Nebbiolo“, die richtige (Warte-)Zeit für den Nebbiolo. So lautete stets Arturos Leitspruch für ArPePe. Wir schreiben das Jahr 2023 und es scheint, das sich das War - ten mehr denn je gelohnt hat. Die Zeit ist reif für Nebbiolo jenseits des Piemont!




